Johannistag

Johannistag

Die Erinnerung an unsere Johannistage kräuselt mir durch den Sinn wie ein Gerank aus bunten und schönen Dingen. Fichtengirlanden schlingen sich lustig durcheinander. In ihrem Grün glühen Pappelrosen. Fliedertrauben quellen daraus hervor, und Nachtviolen tupfen blaurote Punkte hinein. Eierschalenkränze baumeln im Wind. Verlockend streicht um Johannisbaum und Ringelreihen der Duft warmer Blätterkuchen. Lieder klingen. Die Luft ist voll Sonne und Freude und das Herz voll Kinderseligkeit. Ich fühle weiche Mädchenhände in den meinen, spüre in der Nase den Geruch von frisch gestärkten, weißen Sonntagskleidern und Haarpomade. Haarschleifen flattern. Zöpfe wippen. Alle diese verführerischen Dinge erregen in der Jungenbrust das harmlose Räuschlein ersten Verliebtseins. Der schüchterne Bergbube mausert sich zum Ritter. Irgendwo im Johannistagsreigen glüht ihm ein heimliches Flämmchen, dem alle Lieder gelten. Glück wird Singeseligkeit:

Wo treff’ ich meinen Schäfer an,
Wo werd’ ich ihn wohl finden,

Der mir mein Herz erleichtern kann?
Wohl unter einer Linden?
Unter einem grünen Busche,
Da ich meinen Schäfer suche,
Unter einer Linden,
Da werd’ ich ihn schon finden.


Ein Mädel steht unterm Baum. Es winkt schüchtern einen Knaben aus dem Reigen zu sich herein:

Herr Schäfer, Sie bleiben stillesteh’n,
Mir däucht, ich sollt Sie kennen,

Warum woll’n Sie so von mir geh’n
Und sich so von mir trennen?
Ei, so will ich mich zu Sie wenden,
Fassen Sie an beiden Händen,
Und Sie werden desgleichen

Und mir ein Küsslein reichen!


Leider geschah das nun nicht. Unsere Alten waren glücklicher daran. Bei ihnen gehörte das Küssen zum Johannistag, wie der Johannisbaum und die Johannislieder. Aber trotzdem klang es fröhlich weiter:

Oh wie glücklich ist die Stund’,
Da ich meinen Schäfer fund!


Nun stand der Schäfer im Kreis. Seine Schäferin war indes in den Reigen zurückgetreten. Und das Schäferlied wiederholte sich in der Umkehrung:

Wo treff’ ich meine Schäferin an,
Wo werd’ ich sie wohl finden,
Die mir mein Herz erleichtern kann?


Bis eine neue Weise im Kreis erscholl:

Ich bin ein lustiger Weidemann,
Ich suche mir ein Revier.
Ein Hirschlein, das ich schießen kann,
Ein hübsches munteres Tier.
Es gibt der munteren Tier’ so viel,
Der Jäger nimmt sich eines zum Ziel:
Puhf! Der Schuss, der ist geschehen,
Man muß das Wild besehen!


Das Lied vom Hirschlein setzte sich fort:

Jagt mir doch das Hirschlein aus der Weide!
Du und du bist meines Herzens Freude.
Wechselt mir die spanischen Pistolen,
Daß ich kann mein’ Schatz bald wieder holen!
Ei, so komm doch her, mein Kind,

Weil ich dich jetzt wiederfind’.
Treu um Treu und liebe mich,
Und vergiß das Küsslein nicht!


Das war freilich wieder eine Mahnung mit schwachem Ergebnis. Für uns Arme und Nüchterne blieb’s bei der Entsagung:

In dem schönen Rosengarten
Eine Dame zu erwarten,
Die mir schenket einen Kuss,

Die mir schenket einen Kuss.


Und was nützte das Klagelied:

Oh Jammer, Jammer, höret zu,

Was ich euch sagen werde. I
ch hab’ verloren meinen Schatz.
Der mich so treu geliebet hat.

Macht auf, macht auf die Gartentür,

Ob ich ihn hier nicht finde!


Und das Mädel winkte:

Schau her, schau her, hier ist mein Mann,
Hier fall ich ihm zu Füßen.
Und der mich einst geliebet hat,
Den werd ich einstmals küssen.
Nun steh ich wieder auf zu Dir
Und mache einen Diener dir!


Aber fort doch mit den ewigen Herzensdingen!

Es fuhr ein Bauer ins Holz,

Es fuhr ein Bauer ins Holz,
Es fuhr ein Bauer ins Kermesholz,

Ki-ka-Kermesholz,
Es fuhr ein Bauer ins Holz.

Der Bauer nahm sich ein Weib,
Der Bauer nahm sich ein Weib,
Der Bauer nahm sich ein Kermesweib,
Ki-ka-Kermesweib,

Der Bauer nahm sich ein Weib.

Das Weib nahm sich ein Kind,
Das Kind nahm sich ’ne Magd,
Die Magd nahm sich ’nen Knecht,

Ki-ka-Kermesknecht

Der Bauer schied von dem Weib,
Das Weib schied von dem Kind,

Das Kind schied von der Magd,

Die Magd schied von dem Knecht.


Das Ki-ka-Kermeslied war lustig. Wir haben es mit Begeisterung und Inbrunst gesungen. Es bildete eine fröhliche Abwechslung in den Johannistagsliedern und den vielen Volksliedern, die in den Singereigen eingeflochten wurden. Wir schöpften aus unerschöpflichem Born und sangen unverdrossen, bis der Abend kam und wir müde in unsere Kissen krochen.

Dann zog die ganze Johannistagsherrlichkeit noch einmal wie ein bunter Traum durch die Kammer. Das ausgestopfte Männlein, das steif und stumm unter dem Johannisbaum gesessen hatte und dem aus Knopflöchern und Handschuhen die Sägespäne quollen, ward zum Kobold. Es hockte auf der Bettstelle. Es hockte auf dem Deckbett. Es spukte in allen Winkeln und trieb seinen Mummenschanz in des Schläfers heißem Köpfchen, darin ein sonderbarer Leierkasten zu dudeln begann:

Orgel, orgel’ nort-nort-nort,
Wo treff’ ich meinen Schäfer an,
Ki-ka-Schäfer an.

In dem schönen Rosengarten,
Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
Ki-ka-Kermesholz;
Wenn ich den Wanderer frage,
Oh Jammer, Jammer höre zu,
Im schönsten Wiesengrunde,

Ki-ka-Kermesweib,
Die mir schenket einen Kuss,
Ki-Ka-Kuss, Glück auf, ihr Bergleut’ jung und alt, I
ch bin ein lustiger Weidemann,

Wenn schwarze Kittel scharenweis,
Guten Abend, Gute Nacht…


So schwirrt es in wirrem Kunterbunt durcheinander. Über dem Bette wächst der Johannisbaum empor und wächst hinauf bis in den Himmel. Ein Paradies öffnet sich darüber. Das ist voll Glück und Seligkeit. Pappelrosenkränze und Heckengirlanden schlingen sich um goldene Pfeiler. Hexenhäusel aus lauter Blätterkuchen und warmen Waffeln bauen sich auf. Sterne leuchten, tausend Sterne. Aber einer ist der hellste. Und wie der Träumer näher zuschaut, wird der Stern zu einem nickelnen Zwanzigpfennigstück, das er glückselig in den Händen hält. Er lächelt im Traum. Wie reich er war, als ihm der Schullehrer heute morgen das blanke Zweigroschenstück gab! Zwei Groschen eigenes Geld, oh, zwei Groschen! Ihr gütigen Stifter, die ihr lange im Grabe ruht! Das Strahlen in den Augen der Harzheimatkinder hat euch Dank in die Ewigkeit hinüber gelächelt. Die Zwanzigpfennigstücke sind die Zinsen eures Kapitals gewesen. Eure Güte aber konnte sich nicht schöner verzinsen, als mit diesem Glückslächeln auf Buben- und Mädelgesichtern und mit jener Johannistagsfreude, die ihre Backen rot malt und die noch über ihre Augen huscht, wenn sie abends müde in ihre Betten schlüpfen.

Text: Karl Reinecke-Altenau,
entnommen aus dem Buch „Die Schwalben von Toledo“,
Verlag der Heimatstube Altenau-Schulenberg,
Altenau, 2020, ISBN 978-3-00-066955-2

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Johannistag in Altenau, 1954

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Johannistag in Altenau, 1933

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Johannistag in Altenau, 1959

„Heute ist Johannistag“ 

Das Oberharzer Johannisfest am 24. Juni

Es ist eine der schönsten und liebenswertesten Charaktereigenschaften des Oberharzes, dass er mit der ganzen Glut seiner Seele an der tannenumrauschten Bergesheimat hängt. Durch dieses enge Verwurzeltsein im Heimatboden haben sich alte Heimatsitten von Generation zu Generation fortgeerbt. Im letzten Jahrzehnt freilich lockerte sich vielfach die enge Bindung. Doch nun ist die Liebe zum Volkstum wieder neu erwacht. Wir haben wieder erkannt, dass nur in der festen Verwurzelung im Volkstum, im Heimatboden unsere Eigenart und Stärke gewahrt bleiben. Darum muss es uns nun auch am Herzen liegen, alte Volkssitten vor dem Absterben zu bewahren.

Alte Oberharzer Volkssitte ist es, den Johannistag feierlich zu begehen. In der Feier des Johannistages findet sich noch ein Erbteil aus der alten obersächsisch-fränkischen Heimat. Schon die Tage vor dem Johannisfest sind voller Erwartung und Vorbereitung. Kränze und Girlanden aus Hecke und Blumen werden gebunden, dazu kommen die sorgsam schon lange gesammelten, ausgepusteten Eierschalen. Dann wird der Tannenbaum, der zum größten Teil von Rinde und Harz befreit ist, mit Girlanden und bunten Bändern als Symbol des Lebens geschmückt und auf der Straße aufgerichtet. Vielfach ist er heute von den Straßen verschwunden und im Garten aufgestellt, als ein Opfer des neuzeitlichen Verkehrs, doch eigentlich gehört er an diesem Tag auf die Straße.

Am Festtag selbst wurde früher in allen Harzkirchen Gottesdienst gehalten. Vom Vorläufer des Herrn, dem Täufer Johannes, wurde gepredigt, von ihm, der gesagt hat: Christus muss wachsen, ich muss abnehmen. Nur in Altenau hat sich dieser Gottesdienst, an dem die ganze Schuljugend festlich geschmückt teilnimmt, in Folge des Testaments der Jungfer Klapproth erhalten. Dieses aus dem Jahre 1825 stammende Testament bestimmt, dass die Schulkinder nach einem gemeinsamen Kirchgang eine kleine Geldgabe, die heute durch die Geldentwertung natürlich recht gering geworden ist, zur fröhlichen Johannisfeier erhalten.

Nachmittags beginnt dann das festliche Treiben. Es sammelt sich die Jugend mit dem Ruf:

Tripp Trapp! Käsenapp!
Heute ist Johannistag.

Nun geht der frohe Tanz um den Johannisbaum an. Froh und hell erklingen aus Kindermund die vertrauten Johannistagslieder. Nur zu schnell geht dieser schöne Nachmittag für die Jugend hin. Sobald es dunkelt, sammeln sich die Großen um den Baum. Früher standen lange Festtafeln auf der Straße, an denen man gemütlich saß und zum Klang der Harzzither sang. Das ist heute nicht mehr. Doch der Tanz um den Baum ist geblieben. Junge Burschen und Mädchen, denen sich oft und gern auch die Alten anschließen, schließen den Kreis um den Baum. Nun beginnt das fröhliche Tanzen und Singen:

Ich bin ein lustiger Weidemann,
Ich suche mein Revier.
Ein Hirschlein, das ich schießen kann,
Ein hübsches munteres Tier.
Gibt der munteren Tiere so viel
Drum Jäger nimm dir eins zum Ziel.

Mit ausgestreckten Armen bezeichnet der junge Mann im Kreis sein Mädchen, es nun zu ihm in den Kreis tritt. Der Gesang geht weiter:

Der Schuss, der ist geschehen,
Man muss das Wild besehen.
Und Treue, treue liebe mich,
Alte Liebe rostet nicht.

So geht es munter weiter mit Tanzen, Singen und Küssen. Ja, das Küssen gehört für den Oberharzer zum Tanz um den Johannisbaum! Erst wenn die Mitternacht sich naht, wird es still um den Johannisbaum. Das ist der Oberharzer Heimatfesttag, der Johannistag. In unserer Art wird er nur im Oberharz gefeiert. Wohl finden wir auch sonst in manchen Gegenden Deutschlands den Tanz um den Johannisbaum. Doch ist es fast stets eine Birke. Nur der Harzer hat seine Johannistanne. Das aber ist kein rechter Oberharzer, der nicht das Johannisfest gern feiert. Ja, unseren lieben Johann Tag wollen wir behalten.

Text: Pastor Meyer-Roscher, Clausthal.
entnommen aus: „Hannoverscher Kurier“ vom 25. Juni 1933.